Sonntag, 26. August 2012

Hit the Road Gunnar-Die Suche nach Freiheit im Filmemachen


Film und Freiheit. An sich stehen sich diese zwei Begriffe sehr nahe. Film kann politische Freiheit propagieren, ist eine künstlerische Ausdrucksmöglichkeit, in der fast alles erlaubt ist. Filmemacher leben oft ein freiheitsverbundenes Leben mit allen Vor- und Nachteilen. Film kann einem auch das Gefühl von Freiheit geben von der scheinbaren Willkür der Bewegungen und Gesten James Deans in den 50er Jahren bis zu beeindruckenden cineastischen Momenten des modernen Kinos, zum Beispiel in Un prophete von Jacques Audiard, in dem der Protagonist nach langer Zeit das Gefängnis verlassen darf und im Morgengrauen vor den Gittern steht und man die Luft förmlich einatmen kann. Oder in Fish Tank von Andrea Arnold, wenn die junge Protagonistin bei einem Ausflug mit der Familie aufs Land das Fenster im Auto herunterlässt und man den Windstoß fast im eigenen Gesicht spürt.

Das Gefühl von Freiheit in Fish Tank


Leider sieht die Realität des Filmemachens oft gänzlich anders aus und Idealisten (und das sind wir fast alle) haben schnell zu kämpfen an den hunderten Rattenschwänzen und Einschränkungen, die jede Entscheidung mit sich trägt. Professionelles Filmemachen ist Teamarbeit, oft bis zum Grade von Fabrikarbeit. Räder müssen ineinander greifen, man muss kommunizieren und verkaufen können und es bleibt oft die Frage: Wo ist die Kunst? Warum genau wollte ich eigentlich Filme machen? Daraus kann auch große Freude und auch Kreativität entstehen, aber der Gedanke an Freiheit beim Filmemachen erstickt sowohl in der Unmenschlichkeit der technischen Aspekte, als auch in der Menschlichkeit der Teammitglieder. Dazu gehört auch die Frage nach der Hierarchie am Set. Je größer ein Team ist, desto mehr eigentlich unzufriedene Leute gibt es. Man steht vor einer Situation ähnlich dem Trainer von Bayern München, der alle Spieler bei Laune halten muss. Auch hier geht Freiheit verloren. Oft vergisst man die Freude, die die Arbeit um und mit Film bringen kann; auf der Jagd nach der bestmöglichen Qualität siegt oft die Qual über den Rausch. Natürlich hat diese, nennen wir sie herkömmliche Art des Filmemachens viele Vorteile, die sie rechtfertigen und erfolgsbringend machen. Zudem gibt es hunderte individuelle Ansätze, die alle auf ihre Art sehr kreativ sein können. Die Frage muss auch immer sein: Was für einen Film mache ich und wen will ich damit erreichen? Ein Dilemma ist oft, dass sich formale Präzision und Lebendigkeit im Weg stehen. Nicht zuletzt deshalb werden Filme etwa von Michael Haneke als unterkühlt bezeichnet. Deutsche Filme haben oft mit diesen Vorurteilen zu kämpfen. Allerdings liegt das nicht immer an der Art wie diese Filme gemacht werden, sondern auch an ihrer Thematik. 

Unterkühlt? Haneke's Caché


Nicolas Ehret studiert seit einem Jahr an der Filmakademie in Ludwigsburg im Studiengang Film und Medien mit Schwerpunkt Regie. Auch er kennt dieses Gefühl. Er schätzt zwar die Möglichkeit Filme nach professionellen Normen zu machen, aber auch er meint, dass man oft vergisst, wie schön, bereichernd und aufregend Filmemachen eigentlich ist. Deshalb hat er sich in den Semesterferien mit einer kleinen Gruppe befreundeter Filmschaffender zusammengetan, um ein kleines filmisches Experiment zu wagen; weniger auf inhaltlicher Basis ein Experiment, als in der Art und Weise, wie man zum Ergebnis kommen möchte. Nicolas sieht die angestrebte Machart des Films als Gegenpol zum Filmemachen, wie er es bislang angegangen ist. Er hinterfragt sich selbst und vorgegebene Normen. Nicht weil er diese prinzipiell in Frage stellt, sondern weil er sich wieder auf seine eigentliche Motivation besinnen will und andere Möglichkeiten des Geschichtenerzählens erforschen möchte. Dabei legt er ganz besonders großen Wert darauf, dass es kein „dem Regisseur Hinterherrennen“ ist, wie bei vielen anderen Filmen. Dieser Film soll tatsächlich im Team entstehen. Aber wie vollzieht sich das?

Nicolas Ehret


Der Name des Filmprojektes ist Hit the Road Gunnar. Dabei handelt es sich storytechnisch um einen ganz gewöhnlichen Drifter-Film. Gunnar, ein klassischer Ja-Sager und Mitläufer lebt sein ganzes Leben in einem Kaff in Deutschland und entschließt sich eines Tages etwas zu unternehmen. Er will zum Angeln nach Italien fahren. Auf dem Weg dorthin trifft er auf Zoe. Sie will viel lieber nach Schweden fahren. Durch einige (un)glückliche Zufälle verschlägt es Gunnar zusammen mit Zoe in Richtung Schweden. Eine perfekte Ausgangsposition für Selbstfindung, Beziehung und Landschaft, die drei Zutaten eines jeden Roadmovies. Nicolas möchte eine ca. einstündige, leichte Geschichte erzählen, die Freude vermittelt, aber auch ernste und philosophische Fragen behandelt. Inspiriert ist das Ganze von einer eigenen Reise durch Neuseeland, die Nicolas zwischen seinem Abitur und der Filmschule unternommen hatte und die ihn sehr beeinflusst und verändert hat. Dennoch war die Antriebskraft dafür, dass der Film nun auch umgesetzt wird seine befreundeten Mitstreiter, die  „es diesen Sommer einfach wissen wollten.“ Auf der Homepage steht groß: „Basierend auf der Freude am Leben.“  Bis hierhin kann man nichts Besonderes erkennen an dem Projekt, das sich inhaltlich irgendwo nicht weit von Im Juli von Fatih Akin bewegt,  der Hund liegt aber-wie bereits angekündigt-in der Machart begraben:



Mit Regie, Regieassistenz, 2 Kameramännern (gedreht wird auf den allseits beliebten Canon 5D und 7D), einem Tonmann und 2 Schauspielern macht sich das kleine Team (insgesamt 7 Leute) Anfang September auf den Weg von Berlin nach Schweden. Locations hat man noch nicht gefunden, geschweige denn gesucht, man wird einfach drauflos fahren und wenn man einen schönen oder passenden Ort findet die Szene dort filmen. Das Drehbuch ist darauf ausgerichtet. Außer einer Tankstelle und einem Museum benötigt man keine Drehorte, die einer größeren Organisation bedürften. Das Team verbindet sozusagen einen Road Trip mit dem Erstellen eines Films. „Vielleicht finden wir in Schweden eine wahnsinnig schräge Frau an einer Tankstelle und überreden sie mitzumachen.“, mit diesem Ansatz wird das Projekt Hit the Road Gunnar angegangen. Einzig an der Fähre nach Göteborg wird man terminlich hängen, für alles andere hat man sich zwei Wochen Zeit gegeben. Eine richtige Auflösung gibt es auch nicht. Wie auch? Nicolas und seine Crew werden sich von den Orten inspirieren lassen: Ein Team auf der Suche nach der Freiheit des Filmemachens. Ein tatsächlicher Urlaub wird dabei wohl kaum herauskommen, aber ein Abenteuer. Für Nicolas ist es auch ein bewusstes Loslassen von seiner normalen Arbeitsweise. Statt alles vorher bis ins letzte Detail durchzuplanen und dadurch ein oft (hier scheiden sich die Geister) artifizielles und steriles Ergebnis zu bekommen, will er die Freiheit der Produktion auch im Ergebnis spüren. Man möchte sich auf dem Gebiet der Improvisation ausprobieren und einen, dem Dokumentarfilm näheren Stil wagen. Man will sich leiten lassen von spontanen Situationen, Wetterlagen und Lichtstimmungen. Reisen bedeutet für Nicolas auch immer Überraschungen. Dieses Gefühl soll der Film dem Rezipienten vermitteln. Dabei ist vor allem interessant, dass der Weg in diesem Fall das Ziel ist. „Es geht uns in erster Linie darum diesen Film so zu machen. Das Ergebnis ist zweitrangig, obwohl es natürlich schon super wäre, wenn ein toller Film dabei herauskommt.“ Spricht man mit Nicolas, glaubt man ihm dass das auch möglich ist. Auch die klassischen hierarchischen Formen eines Filmsets sind bei Hit the Road Gunnar zur Irrelevanz verdonnert. Schon die Idee ist gemeinsam mit Kameramann Chris Hirschhäuser und Schauspieler Julien Lickert entstanden. Das gemeinsame Finden des Films während des Drehs steht im Zentrum. Ein Ansatz, der bei Mike Leigh im Probenprozess stattfindet (mit beeindruckendem Erfolg) und auch an Hans Weingartner erinnert. Dieses Konzept funktioniert nur, wenn ein tiefes Vertrauen zwischen den Beteiligten herrscht. Da sich der Großteil des Teams schon länger und gut kennt, gibt es viel Potenzial für Kreativität und Reibungspunkte, Harmonie und Kraft.

In Schweden lauern Überraschungen...


Das spannende an diesem Projekt ist auch die Frage nach der Professionalität. Wie wird das Ergebnis ausfallen? Ein Film, der mit sieben Leuten in der Wildnis gedreht wird, kann eigentlich keinem so genannten professionellen Dreh das Wasser reichen. Ich sage: Doch, das wird er können. Hier arbeiten Idealisten und vielleicht klappt die ein oder andere Sache nicht optimal, vielleicht gibt es Schwierigkeiten mit dem Licht und der Sauberkeit von Bild und Ton, aber das alles steht im Tausch mit einer Direktheit und Persönlichkeit, die einem Großteil vieler bemühter Studentenfilme abgeht. Statt einer formalen Übung probiert sich Nicolas an einer Form von Film und Freiheit. Man mag streiten, dass im Endeffekt jeder beliebige Urlauber eine Kamera mitnehmen könnte und etwas Derartiges schaffen könnte. Das mag stimmen, aber in diesem Film steht das Filmemachen über den Urlaub und professionelle Filmschaffende bzw. Filmschaffende auf dem Weg zur Professionalität arbeiten an den Bildern. In einer Zeit, in der sich jeder Amateur ganz schnell zum „Filmemacher“ aufschwingen kann, indem er ein bisschen in die Tasche greift, sich illegal ein Schnittprogramm kauft und irgend ein Buch über Filmemachen, wird es spannend sein zu beobachten, wie sich ein Film von professionellen Leuten, die unter ähnlichen Bedingungen (natürlich mit legalen Schnittprogrammen.) arbeiten, wie der Heimfilmer, davon unterscheidet. Natürlich kommt einem da auch Dogma95 in den Kopf. Der Look von sagen wir Das Fest von Thomas Vinterberg oder Open Hearts von Susanne Bier wird hochgradig amateurhaft. Allerdings ist dies gewollt und keiner, der sich ernsthaft mit den Filmen auseinandersetzt, würde sie als amateurhaft bezeichnen. Das liegt daran, dass sie darauf ausgelegt sind und dass sie die Restriktion in der Form als Katalysator für Kreativität benutzt haben. Diese schludrig wirkende digitale-Handkamera-Low-Light-Art des Filmemachens erlaubt eine größere Freiheit. Ähnlich also wie bei Hit the Road Gunnar. Der Erfolg des Projektes wird zu einem Großteil davon abhängen, inwiefern man konsequent diesen Weg des Loslassens gehen kann, ohne dabei die angesprochene Unmenschlichkeit der Technik und Menschlichkeit des Teams zu belasten. Eigentlich ist die Technik aber kein Hindernis, sondern sie ermöglicht diese Art des Filmemachens heute. Wenn John Ford seine Kameramänner fünfzig Kilo schwere Kameras bei 50 Grad durch die Wüste hat tragen lassen, dann lebt man heute im Luxus in der Welt des On-Location Shootings. Auch Wong Kar-Wai hat seinen erfolgreichen Film Chungking Express auf eine sehr spontane Art und Weise gedreht. Auch er hatte Lust einfach seine Kreativität auf einen Stoff loszulassen. Zuvor hatte er den formal hoch anspruchsvollen In the mood for love gedreht.

Chungking Express


Mit einem aus privaten Mitteln gesponserten Budget von 5000 Euro bewegt man sich an der unteren Grenze des machbaren für einen zweiwöchigen Dreh samt Reise. (oder ist es eine Reise samt Dreh aus finanzieller Sicht?) Schweden bietet sich neben der landschaftlichen Relevanz auch aus Produktionssicht an. Das dort gültige „Jedermannsrecht“ besagt, dass die Wildnis jedem zur Verfügung stehen muss. Das Team hat tatsächlich vor die Nacht zu einem Großteil mit Wildcampen zu Verbinden. Dieses an Werner Herzog erinnernde Back-to-the Roots Filmemachen ist eben noch lange nicht tot und es ist Zeit, dass sich junge Filmemacher wieder derart fordern, statt in der Wohlfühlzone diverser Filmschulen und Filmsets zu arbeiten, mit mehr oder weniger leckeren Semmeln zum Frühstück und genervten Aussagen über die fehlende Qualität des Mittagessens. (Nicht falsch verstehen, diese Dinge sind wichtig und richtig, aber dabei herrscht leider oft ein sarkastischer Professionalismus, statt ein ideelles Träumen und Erreichen von Zielen.) Filmemachen muss nicht immer die Kunst sein, die in der Produktion am weitesten entfernt vom Ergebnis ist. Es gibt Wege sich der Direktheit des Schreibens, Malens oder Musikmachens anzunähern. Es geht nicht darum, dass diese Art des Filmemachens besser ist, sondern darum, dass diese Art des Filmemachens auch existiert und man sich in jungen Jahren daran versuchen sollte. 



Die Form soll sich auch im Inhalt wiederspiegeln. „ Es geht um das Verlieren von Gewohnheiten, es geht um das Loslassen, die Reise ist dafür der Katalysator.“  Mit Odine Johne und Julien Eduard Lickert hat Nicolas zwei sehr talentierte Schauspieler gefunden, die sich dieser besonderen Herausforderung gerne stellen. Er freut sich unheimlich mit den beiden arbeiten zu können. Man darf gespannt sein wie sich diese Arbeit gestaltet, wie viel Zeit bleibt für die „gewöhnliche“ Arbeit mit Schauspielern, inwiefern sich die Rolle der Schauspieler unterscheidet von anderen Produktionen. Inhaltlich bereitet Nicolas den Film mit der gleichen Akribie vor wie andere Projekte auch. Er kennt die Motivationen seiner Charaktere, er hat etwas zu erzählen. Filme sind oft wie Jack, der coole Durchschnittsamerikaner. Nicolas versucht einen Film zu machen, der wie Gunnar ist. Auf den ersten Blick fehlt ihm etwas, aber im Herzen ist er viel echter als Jack. Cause I’ll be back on my feet someday.

Julien Eduard Lickert


Odine Johne


In einigen Wochen wird uns Nicolas dann vom Dreh berichten. Was ging schief? Welche Überraschungen gab es? Inwiefern möchte er diesen Weg des Filmemachens weiterverfolgen? Wenn es klappt, wird es ein Drehtagebuch geben, auf jeden Fall wird es ein Interview geben.


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